Plotten? Nicht mit mir. Oder?

Published by Laura Kier on

Magst du lieber einen akkurat angelegten französischen Garten, mit seinen bis aufs kleinste Detail abgestimmten Kompartimenten? Oder gehörst du zu den Personen, die in ihrem Reich nur die Grenzen des Grundstücks abstecken und ansonsten der Natur freien Lauf lassen? – Ganz genau: Beides hat seinen eigenen Reiz. Bei Geschmacksfragen gibt es kein Richtig oder Falsch. Ebenso verhält es sich auch bei der eigenen Herangehensweise ans Schreiben: Jeder muss seinen eigenen Weg finden.

Plotten_vs_Discovery

Welcher Garten ist deiner?

Plotten ist doof.

Egal was Schreibratgeber oder andere sagen: Ich bin die Göttin meiner Welt. […] Ab und an werfe ich meinen Geschöpfen einen Stein in den Weg und notiere ihre Reaktionen. [Ohne Plan, ohne mehr zu wissen, als das, was ich bisher geschrieben habe.] So fließt es und so macht es mir Spaß!
aus meinem Notizbuch, Oktober 2007

Diverse Schreibratgeber, Autorenforen und eine Schreibschule haben mich zu dieser Zeit mehr und mehr in eine Schreibblockade getrieben. Überspitzt formuliert steht in 90% der deutsch- und englischsprachigen Literatur über das kreative Schreiben: „Autor, du musst nicht nur wissen, wann dein Charakter das erste Mal Sex hatte (und wie es war), sondern auch ob er gestern in der Nase gebohrt hat und es heute wieder tun würde.“ Mit anderen Worten: Bevor ich auch nur auf die Idee komme, ein Samenkorn in die Erde zu legen, soll ich mir einen Plan machen, wo in meinem Roman diese Pflanze später erblühen soll. Wie in einem französischen Garten. Diese Kunstwerke der Renaissance wurden bis zur letzten Rosenblüte geplant. Es wurde festgelegt, wo welches Beet liegt und wie die Farbtupfer der Blüten auf das Gesamtkonzept wirken.

Ich habe plotten versucht. Mehr als einmal. Damals hat es mich in den Wahnsinn getrieben. Jedes Werk, das auf diese Weise entstanden war, klang hölzern, stumpf und schmeckte wie das abgestandene Wasser aus einer Gießkanne. Auf diese Weise konnte ich unmöglich meine Ideen in meinem Garten zum Erblühen bringen. Das eine oder andere Mal war ich kurz davor, das Schreiben aufzugeben. Für mich stand fest: „Plotten ist doof. Plotten funktioniert für mich nicht.“
Doch dann bekam ich den Schreibratgeber „Das Leben und das Schreiben“ von Stephen King in die Hand …

Dann bin ich ein Bauchschreiber.

Noch heute denke ich immer wieder daran, was Stephen King schrieb:

Geschichten sind Fundstücke, wie Fossilien im Boden
aus „Das Leben und das Schreiben“ von Stephen King, ISBN-13: 978-3453435742; eng. orig. „On Writing“

Für ihn ist die Arbeit eines Autors mit der eines Archäologen vergleichbar. Jedes seiner Werke schaufelt er Stück für Stück frei. Am Anfang möglicherweise noch mit einem Spaten, doch schon bald steigt er auf einen Meißel oder sogar eine Zahnbürste um, damit er so wenig wie möglich vom Fossil zerstört.

Dieser Gedanke war neu für mich. Nach all den Texten über Schreibtheorie, die ich bis zu diesem Tag gelesen hatte, gab Stephen King mir endlich das Gefühl angekommen zu sein. Jemanden gefunden zu haben, der eine ähnliche Art bevorzugt, um die Buchstaben auf dem Papier lebendig werden zu lassen. Erst später erfuhr ich, dass es zwei große Lager unter den Autoren gibt. Die Plotter (oder auch Planer, Entwickler) und die Bauchschreiber (im englischen auch discovery writer – entdeckende Schreiber – genannt).

War ich damit endlich am Ende meiner Reise angekommen und konnte meine Texte so zum Leben erwecken, wie es meinem Naturell entsprach? Konnte ich den Pflanzen in meinem Ideengarten sagen: „Wachst, wie ihr wollt, ich werde euch nicht zurecht stutzen“? War ich ein Entdecker? Vor acht Jahren habe ich dazu ganz laut „Ja!“ geschrien. Doch mittlerweile weiß ich, dass für mich eine anderer Vergleich besser funktioniert: Ich bin eine Gärtnerin und mein Weg liegt irgendwo dazwischen.

Mein Weltengarten – der Weg dazwischen.

Als Biologin weiß ich, dass jede Pflanze eigene Ansprüche an ihre Umgebung hat. Farne beispielsweise wachsen besser im Schatten, Heidekräuter aber brauchen mehr Licht. Algen leben im Wasser, wohingegen Kakteengewächse lange Trockenperioden überstehen können. – Es gibt viele, verschiedene Merkmale, die das Leben beeinflussen. Jedes meiner Projekte ist anders. Jede Welt hat eigene Bedürfnisse, wodurch jeder Text eine Neubewertung der Herangehensweise verlangt.

Diese Neubewertung ist das entscheidende Werkzeug in meinem Garten. Ich entscheide, was ich brauche. Ob ich ein Beet mit Faden und Holzstäben abstecke, bevor ich anfange die Erde aufzuschütten (plotten), oder ob ich direkt mit der Schaufel Löcher aushebe und Zwiebeln für Tulpen, Narzissen und Hyazinthen einsetze (einfach drauf los schreiben). Bei jedem Roman, jeder Kurzgeschichte entscheide ich neu. Manchmal sogar bei jeder Szene. Ich weiß, dass ich plotten kann. Ich darf mir notieren, was ich zu meinen Charakteren weiß, ebenso wie es mir freisteht, sämtliche Hintergründe meiner Welten zu skizzieren oder es sein zu lassen.

Mittlerweile wähle ich den Weg zwischen beiden Extremen. Dadurch schaffe ich Raum für die Entfaltung meiner Charaktere. Wie Pflanzen in einem Garten, die eingehen, wenn ein Standort nicht ihren Bedürfnissen entspricht, werden auch meine Charaktere zu Zicken, Saboteuren und Raufbolden, wenn ihnen mein Plot nicht passt. Spätestens dann ist es Zeit für mich, meine Arbeitsweise anzupassen. Den Plot zu überdenken oder den Charakteren freie Hand zu lassen und darauf zu vertrauen, dass sie den passenden Weg finden. Es gibt unzählige Möglichkeiten, die ich wählen kann. Auch wenn viele Schreibratgeber Anfängern an die Hand geben, dass sie plotten müssen, bin ich der Meinung, dass jeder selbst den passenden Weg finden sollte, ohne sich von den Meinungen anderer, in eine Ecke drängen zu lassen. Das funktioniert aber nur durch ausprobieren. Immer wieder aufs Neue und lernen, was für einen selbst funktioniert und was nicht. Für mich war die Erkenntnis, dass ich die Freiheit besitze, selbst über meine Arbeitsweise zu entscheiden, der Funke, den ich brauchte, um wieder mit Freude und ohne Blockaden zum Schreiben zurückzufinden.

Wie sieht es mit dir aus?

Hast du deinen Weg bereits gefunden? Ist dir auch eine Metapher oder ein Vergleich eingefallen, die deine Art zu schreiben anschaulich darstellt? Ich freue mich über weitere Ideen.

Ganz besonders interessiert mich die Frage: Welche Erfahrungen hast du gemacht, wenn zwei verschiedene Herangehensweisen aufeinander prallen. Bspw. weil du mit jemand anderem zusammen an einem Projekt arbeitest?

Mehr zum Thema „kreatives schreiben“?

Zusammen mit einigen Autoren aus dem Tintenzirkel ist mit der Zeitzeugin Guddy eine Essaysammlung zum Thema „Schreiben“ entstanden. Dieser Beitrag ist ein Teil davon.

Ausblick

Besonders in den ersten Jahren meines Autoren-Daseins, fiel es mir schwer das richtige Gleichgewicht zwischen Plotten, Hintergrundinformationen notieren und der kreativen Freiheit zu finden. Darum soll es in meinem nächsten Beitrag, am Montag den 18.1., gehen.



Laura Kier

»Träume verändern die Zukunft. Doch erst wenn wir die Augen öffnen, können wir sie verwirklichen!« Mit diesen Worten in Gedanken, schafft Laura Kier magische, mystische und vielleicht auch gefährliche Welten voller Abenteuer, die Lichtfunken in dein Leben tragen können. Sie lädt mit ihren Texten Leser:innen ein, den eigenen Träumen zu folgen. Neben dem Schreiben genießt sie die Natur, liebt das Leben und ist vielfältig kreativ unterwegs, wenn ihre beiden verspielten Katzen es erlauben.

7 Comments

Cailyn · 15. Januar 2016 at 22:23

Das ist ja witzig, dass du vom Plotten zum Bauchreiben zum Zwischenweg gefunden hast, bei mir war es nämlich genau anders rum: Früher habe ich zwanghaft am Bauchschreiben festgehalten, weil ich dachte, ich sperre meine Ideen ein, wenn ich sie niederschreibe. Nur war das einfach nicht mein Weg, weil ich dann versucht habe, alle Ideen, die ich im Kopf hatte, so schnell wie möglich auf Papier zu bringen. Dadurch waren meine Textanfänge überladen und ich hörte nach wenigen Seiten aus, weil ich ja alles auf einmal niedergeschrieben hatte, was mir an meiner Geschichte gefiel.
Der strikte Plan funktioniert für mich aber auch, weil ich dann in der Tat einen Käfig für meine Figuren schaffe. Statt einer dynamischen Handlung habe ich so eine erzwungene und meine Charaktere spielen bloß eine Rolle statt sie selbst zu sein.
Ich bin mittlerweile auch beim Mittelweg angelangt: Meist plotte ich die grobe Handlung und die ersten Kapitel im Detail. Wobei mir bei manchen Szenen tatsächlich ein Satz wie „Streit ums Pferd“ vollkommen ausreicht – ein Dialogverlauf lässt sich eben schlecht planen. Ich bin also vom Bauchschreiber zum Planer zur goldenen Mitte gelangt. Dein Bild mit dem Garten finde ich dafür übrigens sehr gelungen 🙂

    Laura Kier · 16. Januar 2016 at 00:52

    Ursprünglich war ich Bauchschreiber. Nur die ganze „Fachliteratur“ meinte mir einen anderen Floh ins Ohr zu setzen. – Ich kann dein zwanghaftes festhalten am Bauchschreiben daher sehr gut nachvollziehen. So ging es mir eine Zeitlang auch. Eben weil ich das Gefühl hatte, sonst alles andere auszusperren. Allerdings hatte ich kein Problem damit, alles so schnell wie möglich aufs Papier zu bringen. Auch heute noch halte ich das Meiste im Kopf. Ein paar, für mich eher unwichtige, Eckdaten notiere ich mir. Dazu gehören zum Beispiel Beschreibungen von Charakteren. Die sind mir einfach nicht so wichtig, um sie mir zu merken, aber doch nötig für eine konsistente Charakterisierung. Ebenso wie die Schreibweisen von Namen und Orten.

    „Statt einer dynamischen Handlung habe ich so eine erzwungene und meine Charaktere spielen bloß eine Rolle statt sie selbst zu sein.“ Das Gefühl kenne ich sehr gut. Genauso erging es mir immer wieder. Heute kann ich das nur umgehen, indem ich meinen Charakteren ausreichend Freiraum lasse, damit sie selbst die Handlung bestimmen. Das bedeutet für mich, nicht zu viel plotten. Grobe Eckpfeiler, eine ungefähre Richtung und nur wenige Details, die wirklich wichtig sind und alles zusammenhalten. So wie ich deine Beschreibung lese, ähneln wir uns da. Ich finde es immer wieder spannend zu lesen, wie dann doch häufig wieder Fäden zusammenlaufen und man sich in anderen wiedererkennt.

    Danke fürs Kompliment zum Bild und allgemein danke für deinen lieben und aufschlussreichen Kommentar.

Wolf Awert · 18. Januar 2016 at 13:38

Ich plotte! Aber kaum mehr als eine Szene. Nämlich die nächste. Und hänge ich einmal fest, fange ich von vorn an. Nur in Kurzgeschichten kenne ich das Ende. In Romanen nie. Ich höre immer auf, wenn die Geschichte zuende erzählt ist. Und ja, ich habe Kings Schreibratgeber gelesen. Ich bin wie Du ein Bauchschreiber. Nicht aus Überzeugung. Aber ich weiß nie, was ich schreiben will, wenn ich es noch nicht geschrieben habe.

    Laura Kier · 18. Januar 2016 at 18:58

    Das kommt mir wirklich so bekannt vor. Wobei ich manchmal nicht einmal weiß, wie die nächste Szene aussehen soll sondern gucke, wohin mich die Worte tragen. Oft klappt es, manchmal muss ich dann doch einen Schritt zurück gehen und sehen, was ich eigentlich vor hatte.
    Danke für deine Beschreibung, wie du beim Schreiben vorgehst. Das finde ich immer wieder sehr spannend zu lesen.

Ika · 19. Januar 2016 at 10:55

Ich habe meine Geschichten meistens im Kopf, sie leben in mir, mit mir, ich lasse sie reden und gebe ihnen Gestalt und Namen.
Und irgendwann setze ich mich hin und schreibe auf, es sprudelt raus.
Eigentlich habe ich nie Mangel an Themen, schreibe überwiegend Kurzgeschichten.
ich glaube, ich bin ein Bauchmensch, oder?
Dir wünsche ich viel Erfolg.
Bin auf Deinem Garten gespannt.
Liebe Grüße
Ika

    Laura Kier · 19. Januar 2016 at 17:01

    Ika!!! Ich freue mich, dass du auch wieder hier bist (meine Blogrunden möchte ich auch endlich wieder aufleben lassen, es inspiriert mich doch sehr). Wie du es beschreibst klingt es sehr nach einem Bauchschreiber. Ich selbst merke auch, wie mir die besten Ideen nicht beim „darüber nachdenken“ kommen, sondern beim „einfach schreiben“. Zwar weiß ich manchmal nicht, warum gerade ein Charakter auftaucht oder was er vor hat, aber am Ende ergibt es immer mehr Sinn für mich. Das macht mir am meisten Spaß beim Schreiben.
    Alles Liebe dir

„Wir schreiben“ – eine Essaysammlung | Zeitzeugin · 15. Januar 2016 at 16:01

[…] Link zum vollständigen Artikel […]

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