Wir malen die Rosen rot

Published by Laura Kier on

Es dauert eine Weile, bis aus einem kleinen, zarten Keimling ein prächtiger Rosenbusch wird. Doch irgendwann steht er da. Die ersten Knospen strecken ihre Köpfe der Sonne entgegen. Stolz betrachtest du den Strauch, der da in deinem Garten gewachsen ist. Perfekt geformte Blüten, dunkel grüne Blätter und Dornen. Viele Dornen, die dir in die Finger stechen können, wenn du eine deiner Rosen abschneiden und verschenken möchtest. Deshalb entfernst du die natürliche Abwehr der Pflanze, glättest den Stiel, damit er gut in der Hand liegt und niemanden verletzen kann. Aber wie hilft mir dieses Bild beim Schreiben?

Mein Text ist dieser Rosenstrauch. Mit der passenden Pflege wächst er heran, wie auch meine Geschichte auf dem Papier zum Leben erwacht. Verwurzelt sich tief in meinem Garten und trägt schließlich Blüten, die der Lohn meiner Arbeit sind. Bei einem Roman heißt es, ich habe über viele Kapitel meine Charaktere begleitet und schließlich das Ende ihrer Geschichte erreicht. Aber auch bei Kurzgeschichten und anderen Texten, ist es mir gelungen, eine Rohfassung fertigzustellen, von der ich womöglich möchte, dass sie eines Tages Leser findet. Leser, die durch meine Texte zum Nachdenken gebracht werden oder über meine Worte herzlich Lachen können – was es auch sein soll, ich möchte, dass mein Text positiv auffällt und nicht dadurch, dass jemand sich an den Dornen verletzt hat.

Was also tun?

Ab mit den Dornen

Ganz klar – oder sagt sich das nur so einfach?
RoseBei einer Rose können die dicken Dornen an den Zweigen mit den bloßen Fingern abgebrochen oder mit einem Messer abgeschabt werden. Dann sind da aber noch die feinen Stacheln, die häufig dicht unter der Blüte selbst wachsen. Müssen diese wirklich entfernt werden? Ähnlich verhält es sich mit einem Text. Manche Dornen sind offensichtlich. Seien es falsche Wörter, Rechtschreib-, Grammatik- oder Zeichensetzungsfehler. Aber diese ganz feinen Stacheln, die als Widerhaken in unserer Haut stecken bleiben können, wenn wir nicht aufpassen, verstecken sich häufig dicht unter der prachtvollen Blüte unserer Worte. Wie also erkenne ich derartige Probleme in meinem Text?

Ich muss ihn lesen. Wieder und wieder. Bei jedem neuen Durchgang, jedes Mal, wenn meine Finger vorsichtig über den Zweig der Rose streichen, merke ich, wo sich noch Unebenheiten befinden. Theoretisch. Praktisch weiß ich irgendwann, wo noch ein Stachel sitzt und weiche ihm automatisch aus. Ich bin Textblind und sehe die eigenen Fehler nicht mehr.

Dazu kommt, dass Perfektionisten wie ich, den Sti(e)l der Rose und des Textes niemals als „frei von Dornen“ sehen werden. Es gibt immer eine Unebenheit. Ein Satz der holpert, ein winziger Stachel, den ich bislang übersehen hatte. Aber wie kann ich dann jemals beurteilen, ob mein Text bereit für Leser ist? Lange Zeit (Stunden, Tage, Wochen – je nach Umfang und eigener Zufriedenheit) habe ich an meiner Rohfassung gefeilt. Bei manchen Werken streiche ich nicht nur komplette Absätze, tausche Wörter aus und sortiere Kapitel um, sondern schreibe ganze Passagen neu. Wann also komme ich zu dem Punkt, an dem ich sagen kann: Fertig.
Es ist unbefriedigend, wenn der Rosenstrauch immer weiter wächst. Neue Stacheln bildet, wo ich gerade einige abgebrochen habe. Deshalb mache ich einen Schritt zurück, sobald ich merke, dass ich alle groben Dornen entfernt habe. Für meinen Text bedeutet es, ich korrigiere nur noch einzelne Wörter und Sätze, aber das Große und Ganze bleibt bei jedem neuen Korrekturdurchlauf so bestehen, wie ich es vor ein bis zwei Versionen bereits festgelegt habe. Wenn ich diesen Punkt erreiche, ist es für mich an der Zeit den Text weiterzugeben. Noch nicht an die Leser, sondern an ausgewählte Beta-Leser, die meinen Text auf Schwächen abklopfen.

Weiß, rot – wie jetzt?

[…] dies hätte hier ein rother Rosenstrauch sein sollen, und wir haben aus Versehen einen weißen gepflanzt, und wenn die Königin es gewahr würde, würden wir Alle geköpft werden, müssen Sie wissen.
aus Lewis Carroll „Alice‘s Abenteuer im Wunderland“ übersetzt von Antonie Zimmermann, 1869

Das Bild der drei Karten, die einen weißen Rosenbusch rot anmalen, kommt mir immer wieder in den Sinn, wenn ich an „Alice im Wunderland“ denke. Für mich ist es ein Vergleich, um zu zeigen, wie unterschiedlich die Meinung zwischen Autor und (Beta-)Lesern sein kann. Ich vertrete die Meinung, dass Beta-Leser sehr hilfreich sind, manchmal aber auch gefährlich sein können.

Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass Beta-Leser häufig die Fehler aufdecken, die ich nicht finde. Auf der anderen Seite sind sie oft leichter zufrieden zustellen als ich selbst, weshalb sie über die kleinen Huckel im Text leichter hinwegsehen, die mir immer noch ins Auge stechen. – Für mich überaus hilfreich, weshalb ich meinen Beta-Lesern sehr dankbar bin.
Doch manchmal mutiert ein Beta-Leser zur Herzkönigin.

Besonders am Anfang waren diese Herzköniginnen ein Problem für mich. Manche Leser versuchten meine Texte so zu verbiegen, dass die Worte und Inhalte nicht mehr meine waren. Sie wollten unbedingt rote Rosen, anstelle meiner weißen. Häufig betrafen diese Änderungswünsche tatsächlich Geschmacksfragen und nichts, was essentiell für meine Geschichte gewesen wäre. Mittlerweile weiß ich, dass ich bei Meinungen die Autorenkarte ausspielen kann. Die Herzkönigin gehört ebenso zum Kartenstapel und ich muss diese Karte nicht aufdecken, wenn es für mich nicht passt. Aber ich als Autor kann jederzeit sagen: „Das ist mein Text und ich entscheide. Meine Rosen werden weiß.

Die letzten Schönheitskorrekturen

Sobald ich mich entschieden habe, welche Änderungsvorschläge meiner Beta-Leser ich in meine Texte einarbeite, habe ich den entscheidenden Schritt hinter mir. Schwächen wurden ausgemerzt, Fehler behoben und Geschmacksfragen geklärt. Mein Strauch blüht und ist bereit von den Lesern da draußen begutachtet zu werden. Oder?

Fast. Natürlich könnte ich nun sagen: „Noch ein letztes Mal lesen, dann bin ich fertig“, aber das wäre nicht ich. Noch eine zweite Runde mit Beta-Lesern? Vielleicht. Doch auch dies ist nicht bei jedem Text notwendig, bei manchen aber durchaus sinnvoll. Was dann? Was hält mich davon ab, den Text wirklich als „fertig und bereit für die Öffentlichkeit“ zu bezeichnen. Die Blütenblätter leuchten im Sonnenlicht. An den Dornen kann sich niemand mehr verletzen und der Busch passt perfekt in meinen Garten. Verwirrt sehe ich mich in meinem Garten um. Irgendetwas ist da, was verhindert, den Text loszulassen. Ich habe eine ganze Weile gebraucht, um zu begreifen, was es ist. Der Text wurde von meinen Testlesern gelobt. Jeder weitere Durchlauf von mir brachte zwar noch kleine Änderungen mit sich, aber nichts Gravierendes, was mich tatsächlich stutzig gemacht hätte. Alles in allem war der Text rund. Bereit für die Öffentlichkeit. Aber ich war es nicht.

Um aus einem Keimling eine prächtig blühende Rose zum Verschenken zu zaubern, gehört nicht nur der Schritt, die Dornen zu entfernen, sondern auch die Überwindung der Distanz zwischen mir und dem Beschenkten. Ich muss mich trauen, meine Rose zu präsentieren, meinen Text an die Öffentlichkeit zu übergeben. Oftmals ist dies das größte Wagnis für einen Autoren. Doch es lohnt sich, wie ich selbst immer wieder merke, wenn ich Kommentare – von zum Teil wildfremden Menschen – zu meinen Texten erhalte. Für manche Menschen ist es die falsche Blume, sie können nichts mit meinem Text anfangen. Aber viele andere erfreuen sich an den Worten, die in ihren Köpfen lebendig wurden. Dies gibt mir den nötigen Mut, um den Schritt zu wagen und zu sagen: „Fertig.“

Wie sieht es mit dir aus?

Was ist für dich der schwierigste Schritt? Wie gehst du vor, wenn du einen Text überarbeitest? Liest du deinen Text nur einmal, bevor du ihn anderen zeigst oder fällt es dir sogar noch viel schwerer Beta-Leser an deine Texte zu lassen als die breite Öffentlichkeit?

Ausblick

An die Öffentlichkeit trauen, ist für viele – mich eingeschlossen – eine sehr große Hürde. Immer wieder klopfen Zweifel an die Tür und versuchen einem einzureden, dass man sich lieber in der hintersten Ecke seines Gartens versteckt, als stolz seine Pflanzen zu präsentieren. Deshalb möchte ich in meinem nächsten Beitrag (am Montag, den 1.2.) darüber schreiben, wie ich mit derartigen Zweifeln umgehe und versuche sie zu überwinden.

 

P.s.: Wieder einmal vielen Dank an Rajou. Dieses Mal ganz besonders für die zusätzlichen Ideen, um den Text erblühen zu lassen.



Laura Kier

»Träume verändern die Zukunft. Doch erst wenn wir die Augen öffnen, können wir sie verwirklichen!« Mit diesen Worten in Gedanken, schafft Laura Kier magische, mystische und vielleicht auch gefährliche Welten voller Abenteuer, die Lichtfunken in dein Leben tragen können. Sie lädt mit ihren Texten Leser:innen ein, den eigenen Träumen zu folgen. Neben dem Schreiben genießt sie die Natur, liebt das Leben und ist vielfältig kreativ unterwegs, wenn ihre beiden verspielten Katzen es erlauben.

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