Es war einmal … … davor und danach
Eine Kurzgeschichtensammlung der Märchenspinnerei
Das Rascheln der Zeitung, gefolgt von einem Räuspern, ließ Parthena von ihrem Märchenbuch aufsehen. Der Androide Bartholomew hatte seine Studien beendet und sah sie nachdenklich an. »Woran glauben Sie, Fräulein Parthena?« Seine tiefschwarzen Augen waren wie dunkle Höhlen. Nicht ein Lichtfunke war in ihnen zu sehen.
Dennoch war Parthena sicher, dass sich hinter diesen Augen eine farbenfrohe Welt verbarg, die nur erweckt werden wollte. Deshalb überraschte sie seine Frage nicht, auch wenn ihr keine passende Antwort einfiel. So wiegte sie den Kopf von einer Seite auf die andere, rieb sich über die Stirn und legte schließlich das Märchenbuch auf das Schränkchen neben ihrem Bett. Sie faltete die Hände über der Decke und schaute zum Baldachin hinauf. Natürlich wartete auch da keine Antwort auf sie. Also sah sie wieder den Androiden an. »Wie kommst du auf diese Frage?«
»In der Zeitung steht, dass uns nur noch Gebete helfen könnten, nicht an Myalig zu erkranken. Die Seuche sei überall und kein Heilmittel in Sicht.«
»Nun, in dem Fall glaube ich an meinen Bruder. Ich kenne niemanden, der sich so sehr in eine Sache verbeißt, bis er eine Lösung gefunden hat.« Sie senkte den Kopf und ballte ihre Hände auf der Decke. »Das wird ihm eines Tages noch zum Verhängnis werden.«
»Nicht, solange ich an seiner Seite bin.« Der Androide stand von seinem Stuhl auf und ging zum Fenster hinüber. Er öffnete es und ließ die bereits angenehm warme Frühlingsluft herein. »Ich werde auf ihn aufpassen.«
Ein Lächeln schlich sich auf Parthenas Lippen. »Das beruhigt mich. Wenn ich es nicht mehr kann, ist wenigstens einer da, der sich um ihn kümmern wird.«
»Ist das auch Glaube?« Bartholomew drehte sich zu ihr um. Unschlüssig hob er die Hände und ahmte so eine Geste nach, die sie von ihrem Bruder Levente kannte.
»Eher Gewissheit und Beruhigung. Glaube ist anders. Ich glaube daran, dass das Leben über Myalig siegen wird. Vielleicht ist es für mich zu spät. Aber irgendwann wird diese Seuche keinem mehr die Energie stehlen.« Es missfiel ihr, dass sie mittlerweile sogar zu schwach war, um allein aufzustehen. Nur zu gerne wäre sie ins Gewächshaus gegangen und hätte ihre Rosen gepflegt. Da kam ihr eine Idee. »Würdest du mir einen Gefallen tun, Bartholomew?«
»Jeden, den Sie wünschen, Fräulein Parthena.« Er trat zum Bett und senkte ehrerbietig den Kopf.
»Bring mich zum Pavillon. Ich möchte die Sonne sehen und noch so lange wie möglich ein Teil dieser Welt sein.« Sie schwang die Decke zur Seite und schob sich in die Nähe der Bettkante. Es war nur ein kleines Stück, aber ihre Beine schmerzten bereits und ihr fehlte die Kraft, sie aus dem Bett zu heben. »Bitte.«
Es war einmal ...
... ein Happy End.
Aber sind Märchen immer zu Ende erzählt?
Was geschah mit Mathieu, als er den geheimnisvollen Meerjungfrauen aus "Meerschaum" folgte? Wie geht es mit Pegg und Marie und ihren Schneegeistern weiter fernab von "Hollerbrunn"? Und wie lebt es sich eigentlich "Im Bann der zertanzten Schuhe" als Prinz in dem geheimnisvollen Nachtclub?
Erfahrt, was Tamara aus "Träume voller Schatten" nach Oz zieht, was Graf Levente von Sonnfried zu seinen Forschungen in "Myalig - gestohlenes Leben" antreibt, wie man in der vermüllten Welt von "Der tote Prinz" überleben kann - und vieles mehr.
In zwölf Kurzgeschichten schlagen die Märchenspinner*innen eine neue Seite ihrer Adaptionen auf und verweben die Fäden von Zukunft und Vergangenheit zu neuen Abenteuern.
Die Märchenspinnerei-Anthologie 2022.
Meine Kurzgeschichte ist ein Prequel im Steampunk-Stil zu »Myalig – gestohlene Leben«.
Genres: Steampunk