Der Geist der Spiegelkatze
Der Straßenkater Taps kennt nur die Gassen von Paris. Tagein, tagaus kämpft er dort gemeinsam mit dem Halsbandsittich Faruun ums Überleben. Von einem besseren Leben können sie nur träumen. Faruuns größter Wunsch ist es, in seine Heimat nach Afrika zurückzukehren. Doch dazu brauchen sie wohl ein Wunder.
Dieses Wunder begegnet Taps mit dem Menschen Loan, denn der kann ihn erstaunlicherweise verstehen. Plötzlich scheint es nur noch ein Tauschgeschäft entfernt, seinem Freund den sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Der Preis ist jedoch um ein Vielfaches höher, als Taps gedacht hat: Von nun an könnte ein unbedachter Maunzer sein Leben und das seiner Freunde kosten.
Hintergrund
»Der Geist der Spiegelkatze« ist beim Machandel-Verlag innerhalb einer Reihe von Katzen-Romanen und -Kurzgeschichten erschienen. Die einzelnen Texte sind unabhängig voneinander, die Bücher im Regal zusammengestellt ergeben aber das Bild einer Katze.
Mehr Informationen zur Reihe beim Machendelverlag unter „Katzenbuchreihe“.
Genre: Tier-Fantasy
Taschenbuch: 276 Seiten
Erschienen: 12. Mai 2021
Der Geist der Spiegelkatze
1. Kapitel – Schräge Vögel
»Paris! So schön ist nur Paris!«, krächzte Faruun. Taps’ Pfoten schnellten auf seine Ohren. »Nur Guinea ist viel schöner!«
Während der Halsbandsittich weitersang, starrte Taps den Vogel grimmig an. »Glaubst du, du kommst schneller nach Afrika, indem du mir die Ohren vollheulst?«
»Kunstbanause!« Faruun brach seinen Gesang ab und landete auf einem Stapel Kisten über dem Kopf des Katers. »Warum meckerst du überhaupt? Du hörst doch eh nur wenig.«
Taps legte eine Pfote über die Augen und schüttelte den Kopf. »Von wegen. Ich verstehe dich viel zu gut. Mein Knickohr bewahrt mich leider nicht vor deinem grauenvollen Krächzen!«
»Wie auch immer. Was machen wir hier? Ich dachte, wir wollten zum Hafen. Unsere Reisepläne nach Afrika? Ich will endlich raus aus Paris! Hier ist es kalt und –«
»Ja, ja. Später.«
»Nicht später! Das Schiff fährt sonst ohne uns.« Empört plusterte sich der Halsbandsittich auf, wodurch seine grünen Federn in alle Richtungen abstanden. »Du hast es mir versprochen!« Das letzte Wort zog er besonders in die Länge.
Taps fauchte ungehalten. Er wusste ziemlich genau, was er Faruun versprochen hatte. Aber noch konnte er dieses Versprechen nicht halten. Erst brauchte er abermals die Hilfe des Vogels. Also musste er Faruun beschwichtigen. »Bitte. Ich schaffe das nicht ohne dich! Danach machen wir uns direkt auf den Weg in den Hafen. Ehrenwort!«
»Wirklich? Du versprichst es?«
Taps nickte.
»In Ordnung. Was soll ich tun?«
»Da oben, siehst du die Seilwinde?«
Faruun hob den Kopf. »Ja, und? Soll ich nun Stahlträger für dich bewegen? Das ist Menschenarbeit, nicht unsere!«
Taps zog eine tote Ratte hinter dem Stapel hervor. »Die muss nach da oben.«
»Wie bitte? Wozu?«
»Als Warnung. An die Schiffsratten, dass sie dich in Ruhe lassen.«
»Das soll ich dir glauben?« Faruun legte den Kopf schief. »Ich kann von hier nicht einmal das Wasser sehen!«
»Na ja, also …«, druckste Taps herum. »Die Ratten sind ähnlich gut vernetzt wie wir Katzen …«
»Geht es wieder einmal darum, dass du diese anderen Straßenkater beeindrucken möchtest? Oder haben sie dir das als Mutprobe aufgegeben?« Der Halsbandsittich blinzelte. »Moment! Es gibt überhaupt kein Schiff, oder?«
»Ach Faruun, ich möchte ja mit dir nach Afrika reisen, aber wir beide können nicht lesen. Woher soll ich wissen, wohin die Schiffe fahren?«
»Menschen? Zuhören? So wie wir es bislang immer gemacht haben?« Der Halsbandsittich krächzte laut. »Wir wollten uns gegenseitig helfen! Im Moment habe ich aber das Gefühl, du hilfst nur dir selbst. Ich will nach Hause.« Er senkte den Kopf und rieb seinen Schnabel an der Kante der Kiste.
Taps schob die Ratte ein Stück zu Faruun. »Was erwartest du? Ich teile mein Essen mit dir und du darfst dich nachts zu mir kuscheln. Außerdem passe ich auf, dass die anderen Katzen dich in Ruhe lassen.« Es tat ihm weh, was sein Freund ihm an den Kopf warf. Natürlich hatte er immer wieder Ideen und brauchte dafür die Hilfe des Vogels, aber die meisten seiner Einfälle halfen ihnen beiden. Ja, es ging auch um sein Ansehen unter den Katzen, aber das war wichtig, damit die anderen Straßenkatzen sie in Ruhe ließen.
»Du machst es mir nicht einfach«, schimpfte Faruun. »Also schön. Da soll die Ratte hoch? Und du glaubst, das würde die anderen interessieren? Vor allem da du eh nach Afrika möchtest?«
»Sicher ist sicher. Außerdem spricht es sich vielleicht bis Guinea herum. Jedenfalls haben sie gesagt, ich würde mich das eh nicht trauen. Aber so früh morgens sind die Menschen noch nicht auf der Baustelle unterwegs. Also von daher … Was soll uns passieren?«
»Sie werden uns auslachen!«
»Quatsch! Wieso sollten sie?« Taps kräuselte die Schnurrhaare.
Faruun schüttelte sich. »Weil keiner dieses mickrige Vieh als Ratte bezeichnen würde. Selbst dann nicht, wenn er sehr wohlwollend wäre.«
»Was?«
»Na, guck sie dir doch mal an! Die ist doch viel zu winzig! Nicht größer als eine Spitzmaus und …«
»Von wegen!« Aufgebracht sprang Taps zu Faruun auf die Kisten, mit der Ratte im Maul, und legte sie dem Vogel vor die Füße. »Das ist ein wahres Prachtstück! Guck sie dir doch mal genau an. Wundervolles dreckiges Fell, dazu ein herrlicher Braunton, der nur noch vom Rosa …«
Der Halsbandsittich krächzte schräg. »Das ist vielleicht ein Jungtier, wenn du Glück hast! Aber wenn das die anderen Katzen sehen …«
»Dann werden sie staunen«, ertönte hinter ihnen eine ruhige Stimme. Lieblich und verführerisch klang sie.
Eine Katzendame wie aus dem Bilderbuch. Weiches, graues Fell, das in der Morgendämmerung einen leichten bläulichen Schimmer annahm. Dazu herrliche grüne Augen.
Taps Schwanz schnellte nach oben. Rasch schluckte er den Sabber hinunter, der drohte ihm aus dem Maul zu laufen. So eine Schönheit hatte er unter den Straßenkatzen noch nie gesehen. Aber das hier war Paris. Wunder gab es an jeder Straßenecke, wenn man bereit für sie war. So hatte er schließlich auch Bekanntschaft mit Faruun gemacht und bislang war es eine außerordentliche Freundschaft.
»Faruun an Taps! Aufwachen!« Der Vogel schnappte sich den Schwanz des Katers und zerrte daran. »Eine Dame lässt man nicht warten.«
»Vielen Dank, mein Lieber. Warten tue ich tatsächlich. Allerdings auf den Sonnenaufgang. Habt ihr ihn mal von da oben gesehen?« Sie hob ihren Blick in Richtung Stahlkonstruktion. »Es soll so hinreißend sein, nur …«
»Nur?« Taps sah sie an. Doch schnell bereute er es. Er verlor sich in ihren Augen, wusste nicht mehr, was nun der nächste Schritt war. Dabei hatte er doch vor der Rattenjagd jede Minute des Tages so durchgeplant, dass er am Abend bereits einige Ränge unter den Straßenkatzen gestiegen sein musste. So wurde daraus nichts. Also zwang er sich, den Blick abzuwenden. Aber sobald er ihre Stimme hörte, sah er wieder hin.
Leise flüsterte sie: »Ich trau mich nicht. Das ist so hoch.«
»Aber Mademoiselle! Wenn Sie wünschen, dann begleiten wir Sie.« Galant neigte Taps den Kopf vor ihr.
»Nein, nein. Ich bleibe lieber hier unten in Sicherheit.« Keck streckte sie eine Pfote von sich und machte es sich auf den Kisten gemütlich. Die von Taps erlegte Ratte sah sie einen Moment intensiv an. »Das ist wahrlich ein Prachtstück.«
»Wirklich?« Taps warf Faruun einen vielsagenden Blick zu.
Der Halsbandsittich flatterte kurz auf, ehe er sich angewidert von der Ratte abwandte. »Das Ding rühre ich nicht an. Wenn du es da oben aufhängen willst: bitte. Aber ohne mich. Damit wirst du dir keine Freunde machen. Die anderen lachen dich aus, wenn sie das Krüppelstück sehen.«
»Aber, aber«, beschwichtigte die Katzendame ihn. »Bitte streitet doch nicht. Ich finde die Ratte ist ausgezeichnet. Sie wird ganz sicher eine herrliche Mahlzeit abgeben.«
»Siehst du! Dazu ist eine Ratte da. Nicht um sie im Wind baumeln zu lassen.« Faruun trippelte von rechts nach links. »Wir sollten übrigens endlich aufbrechen.« Möglichst leise raunte er Taps zu: »Das Schiff, du weißt schon.«
Innerlich wirbelte alles in Taps durcheinander. Er wollte seine Stellung sichern, seinem Freund helfen, aber dann war da noch sie. Bei ihr auf der Kiste sitzen kam dem Paradies gleich. Möglichst galant verneigte er sich vor ihr: »Wir sind übrigens Faruun und Taps. Faruun ist ein alter Freund von mir, der sich nun auf große Fahrt nach Afrika begeben möchte.«
»Hey! Ich dachte, das wäre unser Geheimnis!«
»Mein lieber Freund, ich bin mir sicher, dass …« Was eigentlich? Taps war sprachlos und wusste seinen eigenen Satz nicht zu beenden. Das kannte er überhaupt nicht von sich! Er wollte, dass die Katzendame ihn mochte, aber doch nicht auf Kosten von Faruun! »Bitte entschuldige. Wir sollten tatsächlich aufbrechen.« Wobei er nicht sagen konnte, an wen der beiden seine Entschuldigung gerichtet war.
Bevor Taps sich abwenden konnte, ergriff die Katze das Wort: »Afrika. Das ist tatsächlich ein schöner Traum. Aber die Freiheit habe ich nicht. Ich habe Verpflichtungen.«
»Verpflichtungen?« Faruun drehte sich zu ihr um und streckte ein Bein von sich, um auf dem anderen zu balancieren. Dazu breitete er seine Flügel aus, wodurch die Federn im Wind wehten.
»Nun, Madame kann meine morgendliche Toilette nicht ohne mich erledigen. Bürsten, Kämmen, ihr wisst schon. All die Sachen, die für ein glänzendes Fell nötig sind.«
Taps kam nicht umhin, sie anzustarren. Ja, er hatte davon gehört, was Hauskatzen taten, um ihren Menschen zu gefallen. Insgeheim wünschte er sich ebenfalls ein Zuhause, aber gleichzeitig widerte es ihn an. Eingesperrt, darauf angewiesen, dass die Menschen ihm die Tür und Dosen öffneten. Zudem wusste er nicht, was er von den Beschreibungen der Katzendame halten sollte. Es ging weit über seine Vorstellungen hinaus, wie Hauskatzen lebten. Ihm hätte es gereicht, wenn jemand dafür sorgte, dass das Futter geliefert wurde und er dafür nur ab und an eine Maus jagen musste. Aber so etwas? Bürsten? Kämmen? Sein herrliches schwarzes Fell berührte nur seine Zunge, sonst nichts! Aber gut. Das sollte er der Dame nicht auf die Nase binden. Feingefühl war nötig.
Als er allerdings ansetzen wollte zu sprechen, fragte Faruun: »Ihr seid eine Dame von Stand, was macht Ihr da auf einer schmutzigen Baustelle? Für den Sonnenaufgang gibt es doch sicherlich bessere Plätze.«
»Oh, natürlich. Den könnte ich aus dem Erker von Madame beobachten. Vor allem wäre es dort wärmer.« Sie rückte ein Stück näher an Taps heran, sodass sich ihre Körper beinahe berührten. Aber nur beinahe. »Alle reden von dieser Baustelle. Das Jahrhundertereignis. Mächtig, imposant und vor allem für Generationen erbaut.« Ihre Augen glänzten voller Bewunderung. »Keine Frage. Das muss ich mit eigenen Augen sehen!«
»Verstehe. Und was wird dieses Chaos?« Faruun kratzte mit einer Kralle einen langen Strich in die Holzkiste. »Wie ich das sehe, sind das bislang nur einige Stahlträger, die irgendwie in den Himmel wachsen. Jeden Tag ein bisschen höher.«
»Habt ihr noch nie etwas vom Eiffelturm gehört? Jeder in Paris spricht davon! Selbst ihr Straßenleute müsstet …«
»Halt! Wie hast du uns gerade genannt?« Aufgebracht ließ Faruun davon ab, ein Abbild des Turms in die Kiste zu ritzen. »Jetzt sag doch auch mal was«, wandte er sich an Taps und kniff die Augen zusammen.
Aber Taps fühlte sich nicht in der Lage auf seinen Freund zu reagieren. Der betörende Duft der Katzendame umgab ihn und ließ ihn gedanklich in die Höhe schweben. Beinahe bis zur Seilwinde, an die er die Ratte hängen wollte. Doch dann knallte er auf die Kiste zurück und fand sich in der Realität wieder. Er kannte die Katze nicht. Wusste nicht einmal ihren Namen. Man überlebte auf der Straße nicht, indem man sich mit Hauskatzen anfreundete. Wobei … ihm kam eine Idee. »Sag, hast du einen Namen? Wenn wir uns länger unterhalten wollen, wäre es mit einem Namen einfacher. Wir beide, Faruun und ich, sind schon so lange ein Teil von Paris, dass wir dir sicher noch einige andere außergewöhnliche Orte zeigen können.«
»Wirklich?« Ihre Augen glitzerten in den ersten Sonnenstrahlen des Tages. »Wenn das so ist … Mein Name ist Susalu. Aber meine Freunde nennen mich Salu.«
»Ein hinreißender Name«, begann Taps.
Doch sofort unterbrach ihn Faruun: »Wir zeigen dir gerne den Hafen. Dorthin wollten wir nämlich schon vor einer halben Ewigkeit aufbrechen!« Er schob Taps die Ratte entgegen. »Das Ding vergiss mal. Wir gehen nun in den Hafen und suchen ein Schiff, das nach Afrika fährt. Sie kennt Paris und weiß sogar, was die Menschen hier bauen!«
»Warum gehst du nicht allein?« Susalu streckte beide Pfoten aus und zwinkerte Taps zu. »Taps und ich schaffen es sicher, die Ratte ohne deine Hilfe auf den Eiffelturm hinaufzubringen. Du musst nicht auf uns warten.«
Faruun öffnete und schloss den Schnabel. »Wie bitte? Schickst du mich gerade fort?«
»Du willst doch unbedingt zu diesem Schiff. Ich halte dich nicht auf. Aber wozu brauchst du ihn? Er will mir die Stadt zeigen und vielleicht traue ich mich mit ihm an der Seite tatsächlich, den Sonnenaufgang von da oben zu beobachten.« Sie richtete sich auf und streckte sich ausgiebig. »Dafür sollten wir jetzt aufbrechen. Sonst verpassen wir das Schönste.«
Taps blinzelte, hob verträumt die Mundwinkel. Sein Knickohr zuckte leicht. Eine Hauskatze hatte Interesse an ihm? An ihm? Er hatte es nicht einmal geschafft, sich gegen die Schwächsten der Straßenkatzen zu behaupten. Wieso wollte sie nun mit ihm ihre Zeit verbringen? Lag es womöglich an seinem gut gepflegten Fell? Oder war es die Ratte? Er fuhr die Krallen aus, zog das tote Tier zu sich. Dann hob er den Kopf und sah Faruun an. »Du könntest allein in den Hafen aufbrechen. Hör dich schon mal um.« Er würde solange die Zeit nutzen, um Susalus Gunst zu gewinnen. Als Hauskatze konnte sie womöglich sogar lesen!
»Aber …« Der Halsbandsittich spreizte die Flügel, plusterte sich auf und bohrte die Krallen tief in das Holz der Kiste. »Was ist, wenn ich ein Schiff entdecke? Wie soll ich dich finden? Wenn ich mitfahre, werden wir uns vermutlich nie wiedersehen. Du willst doch auch nach Afrika, oder? Du weißt schon, wir beide gegen den Rest der Welt! Bislang waren wir ein wundervolles Team …« Traurig ließ er den Kopf hängen.
Hin- und hergerissen zog Taps die Krallen wieder ein. Er konnte Faruun nicht vor Salu in seinen Plan, von ihr lesen zu lernen, einweihen. Aber wenn er ihn nun gehen ließ, sah er seinen Freund womöglich nie wieder. Unschlüssig sträubte Taps die Nackenhaare. Doch ein Blick in Salus Augen festigte seinen Entschluss. »Bitte entschuldige. Du musst heute ohne mich in den Hafen.«
»Wie bitte?« Faruun krächzte empört. »Wir wollen doch …« Er berührte mit seinen Flügelspitzen das Holz. Nur einen Moment darauf drehte er sich um und flog davon. Kein weiteres Wort, keinen Blick zurück.
Mit schwerem Herzen sah Taps ihm hinterher. Als der grüne Punkt in der Morgendämmerung verschwand, wandte er sich wieder Susalu zu. »Möchtest du nun hinaufklettern?«
»Nein. Wir bleiben hier«, entschied sie und machte es sich auf der Kiste gemütlich.
Taps war ihre Einstellung recht. Er sagte nichts weiter, sondern beobachtete lediglich, wie der Himmel vor ihm heller wurde, während er seine Pläne überdachte.
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- Mit Herzblut dabei – Der Geist der Spiegelkatze hat mich verzaubert.