Da unten im Loch ist es sicher – oder?
Hör auf zu flennen! Aus Furcht denkst du, du seist wertlos und andere wären bedeutsam; du heulst und sorgst dich um kleine Dinge, und wenn es einmal gut läuft, flippst du vor Freude aus.
aus „Die Zen-Lehre des Landstreichers Kodo“ von Kodo Sawaki & Kosho Uchiyama, ISBN: 978-3-936018-51-6. S.47
Löcher können wirklich verlockend sein. In ihnen ist es schön gemütlich, dunkel und wir müssen nicht sehen, was es sonst noch gibt. Natürlich, da oben ist irgendwo ein Licht, aber warum sollten wir uns bemühen dorthin zu gelangen, wenn es doch viel bequemer hier unten ist?
Im Sonnenlicht tanzen
Eine Zeitlang ist es schön, sich im Loch auszuruhen. Neue Kraft aus der Ruhe zu schöpfen, um dann wieder gestärkt die vielen wundersamen Eindrücke des Lebens auf sich einströmen zu lassen. In meinem Garten warten schließlich nicht nur viele bunte Blüten auf mich, sondern auch duftendes Obst, Bienen, Mäuse und mein Kater, der mich zum Lachen bringen möchte. Doch was tue ich? Ich lasse die Zeit verstreichen. Stunden, Tage, sogar Monate gehen dahin, ohne dass ich wieder aus meinem Loch hervorkomme. Nicht nur bei mir beobachte ich dies. Auch bei vielen meiner Freunde. Immer wieder frage ich mich: Woran mag dies liegen? Daran, dass die Dunkelheit so gemütlich ist ganz bestimmt nicht. Wir Menschen brauchen Farben, Eindrücke, Gerüche und all die Erlebnisse, die uns außerhalb unseres Lochs erwarten. Angst, Furcht, wie es in „Die Zen-Lehre des Landstreichers Kodo“ ausgedrückt wird, mögen dazu gehören. Aber ich denke, es ist vor allem auch ein Mangel an Selbstwertgefühl, der uns in unserem Loch festhält.
Ich selbst und viele Menschen, die ich zu meinen engsten Freunden zähle, haben mit einem niedrigen Selbstwertgefühl zu kämpfen. Der Glaube, unbedeutend und wertlos zu sein ist so fest verwurzelt, dass wir teilweise gar nicht wahrnehmen, dass wir für andere etwas Besonderes sind. Liebevolle Menschen, die nicht nur geniale Ideen in ihrem Inneren verstecken, sondern auch Großes erreichen könnten, wenn wir es schaffen unser sicheres Loch hinter uns zu lassen. Aber sobald wir uns aus dieser Sicherheit herauswagen, fühlen wir uns ungeschützt.
Fangen wir uns einen Sonnenbrand ein oder werden von einer Biene gestochen, werten wir es als persönlichen Angriff und ziehen uns zurück. Angst und Sorgen lähmen uns. Dabei lassen wir nicht zu, dass auch andere Perspektiven möglich sind. Die Biene beispielsweise muss uns als Bedrohung registriert haben, wenn sie uns gestochen hat. Vielleicht haben wir jemanden aus ihrem Bienenstock unwissentlich zertreten. Vor der Sonne haben wir uns möglicherweise nicht genug geschützt und rechtzeitig wieder den Schatten aufgesucht. Es gibt viele Möglichkeiten, weshalb vieles anders läuft, als wir uns wünschen. Aber wenn wir uns vor allem verstecken, wer sind wir dann?
Wäre es nicht viel schöner, die Arme zu öffnen und das Leben zu begrüßen? Offen in die Welt hinauszugehen und die Angst nur noch einen Begleiter sein zu lassen, der uns zur Vorsicht ermahnt, aber uns nicht länger lähmt? Ich für meinen Teil habe beschlossen, mich aus meinem Loch herauszuwagen und wieder im Sonnenlicht zu tanzen.
Was ist wirklich von Bedeutung?
Immer wieder wird mir bewusst, dass ich mir über vieles Gedanken mache, was bedeutungslos ist. Warum denke ich jetzt schon darüber nach, welche Verwüstungen der angesagte Sturm in meinem Garten anrichten mag und wie ich diese wieder beseitige? Warum warte ich nicht ab, ob der Sturm vorbei zieht oder nur ein paar Blätter von den Bäumen gerissen werden. Viel zu häufig denke ich über Möglichkeiten nach, die überhaupt nicht eintreffen. Natürlich ist es sinnvoll, Optionen gegeneinander abzuwägen und auch im Rückblick Erlebnisse zu betrachten, um aus diesen zu lernen. Aber ständig auf der Hut zu sein, es könnte etwas passieren. Wozu?
Bislang war ich der festen Überzeugen, dass es andere nicht interessiert, wie es in mir aussieht und was in mir vorgeht. Welche Gefühle dort wohnen oder ob ich ihnen zustimme, wenn sie über bestimmte Themen diskutieren. Viel zu häufig habe ich mich selbst kleiner gemacht als ich bin. Lieber schnell zurück in die Sicherheit von meinem Loch, nichts nach Außen preisgeben, was womöglich als nicht angepasst oder der Norm entsprechend gewertet werden könnte. Wieder die Frage: Wozu?
Heute weiß ich, dass mich all dies in Sicherheit wiegen sollte. Ich musste mich nicht mit mir selbst auseinandersetzen. Auch konnte ich so Konfrontationen ausweichen, die mein Harmoniebedürfnis gestört hätten. Dabei habe ich aber an mir selbst vorbei gelebt. Häufig genug wusste ich nicht, was ich wirklich wollte. Konnte nicht wertschätzen, was da ist, was ich habe. Lieber habe ich an den wenigen Dingen, die zuverlässig zu mir stehen, wie mein Körper, meinem Denkvermögen und meine Kreativität herum gemeckert. Immer wieder die Punkte nach vorne gezerrt, die nicht „optimal“ waren. Zu dick. Die Beine sind nicht wohl geformt. Ich kann mich nicht gut genug konzentrieren. Mir unterlaufen ständig Fehler. Das ist nicht originell genug. Ähnliches gibt es schon. Und so weiter und so fort.
Es war einfacher. Fehler finden ist immer leicht. Aber zuzugeben, dass etwas in seiner Unperfektheit bereits gut ist fällt schwer. Vor allem wenn es einen selbst und seine Fähigkeiten betrifft. Wie also verabschiede ich mich aus der scheinbaren Sicherheit und gehe selbstbewusst dem Licht entgegen?
Neue Wege einschlagen
Geduldig, gelassen und nichts überstürzen. – Drei Punkte, die für mich oft genug die pure Qual bedeutet haben. Ich wollte alles sofort. Am besten gestern. Vieles aber braucht Zeit. Bäume werden nicht an einem Tag höher als ein Haus und bekommen Stämme, die wir nur mit mehreren Freunden zusammen umarmen können.
Bei diesen Worten muss ich an meinen Kater denken. Er ist ein kleiner Angsthase, der sich lieber drinnen versteckt, als den Sommer draußen zu verbringen. Doch manchmal, da stapft er in den Garten, sucht sich ein schönes Plätzchen und scheint so richtig das Leben zu genießen.
Natürlich ist dies alles nur eine mögliche Interpretation, doch mich erinnert er daran, dass vieles lieber langsam angegangen werden sollte. Mit Ruhe und Bedacht. Wir müssen uns nicht von einem Tag auf den anderen komplett verändern. Kleine Schritte kosten nicht nur weniger Kraft, auch werden wir dadurch nicht schlagartig aus unserer Sicherheit gerissen, so dass wir die Veränderungen langsam vollziehen können. Wir können außerdem besser bewerten, was uns wirklich hilft und was nicht. So finden wir unseren eigenen Weg, den niemand sonst außer wir selbst gehen können.
Um den Bogen zum letzten Teil des Zitats zu schlagen – „und wenn es einmal gut läuft, flippst du vor Freude aus“ – möchte ich ebenfalls ruhig und gelassen sein. Ich möchte mich freuen und absolut genießen können. Aber nicht, wenn es bedeutet, dass ich mich wieder tiefer in meinem Loch verkrieche als bisher, sobald wieder ein Stein auf meinen Weg rollt. Von nun an möchte ich gelassen an alles heran gehen. Mein Selbstwertgefühl langsam stärken und mich über all die schönen Erlebnisse freuen. Nichts ist in Stein gemeißelt, auch wenn ich selbst oft genug daran glauben will. Aber ich kann mich verändern und die Sicherheit meines Lochs verlassen, um im strahlenden Sonnenschein neue Inspiration für meinen weiteren Lebensweg zu sammeln.
Wie sieht es mit dir aus?
Hast du ein Selbstwertgefühl, dass dir erlaubt, im Sonnenschein zu tanzen oder möchtest du lieber in der Dunkelheit deine Ruhe vor allem haben? Fällt es dir leicht oder schwer, Veränderungen anzunehmen und diese umzusetzen? Was hilft dir auf deinem Weg?
Ausblick
Zur Zeit beschäftigen mich viele unterschiedliche Themen. Immer wieder merke ich, dass ich mal darüber nachdenke, wie ich meinen Lebensweg weiter gehen möchte, was ich dazu brauche und dann wieder zu Gedanken zurückkomme, die mich dazu bringen über mich selbst nachzudenken und wie ich eigentlich sein möchte. Daher werden meine nächsten Beiträge wohl weniger Schreiblastig sein, als eher in Richtung Veränderung, Leben und Genießen tendieren. Ich hoffe dir gefallen meine Gedanken und sie regen dich zum Nachdenken an.
Vielen Dank an meine liebe Freundin Ragna für die Inspiration zu diesem Blogbeitrag.
2 Comments
Rhiannon · 17. Februar 2016 at 15:39
Hallo Elu,
dass mir solche Themen sehr gut gefallen, weißt du vermutlich bereits, aber trotzdem wollte ich es nochmal gesaagt haben.
Was die Löcher angeht, ich glaube, es ist nicht mal unbedingt immer die Sache, dass man lieber im Loch bleibt, weil man einen Bienenstich persönlich nimmt, sondern manchmal auch, weil man zu oft gehört hat „Pass auf, du könntest abstürzen!“, wenn man irgendwo hochgeklettert ist und deswegen nicht aus dem Loch klettern mag, weil es ja klettern ist. Ich habe festgestellt, dass gerade die wohlmeinenden, besorgten Menschen (selbst wenn es tatsächlich in der besten Absicht geschieht) häufig die größte Bremse für kreative Menschen sind, weil sie bei den Höhenflügen nicht sehen können, dass Bruchlandugnen nicht halb so schlimm sind, wie nie geflogen zu sein. Und selbstkritisch und veränderungswillig wie wir nun einmal sind, versuchen wir das zu beherzigen und bruchlanden noch härter. Aber weil die anderen ja nur unser bestes wollten, sind wir dann ja mit Sicherheit Schuld an der Bruchlandung.
Ich bin auch noch weit davon entfernt, das ganz abgelegt zu haben, aber daran zu denken, dass auch wohlmeinende Menschen Ketten sein können und man sich manchmal von ihnen losreißen muss, damit man weiterkommt, hilft zumindet mir, viele Misserfolge nicht mehr persönlich zu nehmen.
Laura Kier · 20. Februar 2016 at 22:05
Liebe Rhia,
deine Kommentare bringen mich immer wieder zum Nachdenken! Toll und danke dafür <3 Die Idee mit dem "pass auf, du könntest abstürzen" ist mir bislang noch nicht gekommen, leuchtet aber ein. Gerade weil Fliegen, das Tageslicht genießen und eigene Erfahrungen machen so wertvoll sein kann. Sehr schöne und hilfreiche Gedanken.
Alles Liebe dir
Laura