Ruhepause für Texte
Ruhepausen sind nicht nur für meinen Körper wichtig (Stichwort: Heidelbeermagie), sondern auch für meine Texte. Nachdem ich das Wort »Ende« (zumindest im übertragenen Sinne, ich schreibe es fast nie darunter) geschrieben habe, überarbeite ich nur in sehr seltenen Fällen eine Geschichte von mir sofort. Normalerweise lasse ich den Texten mehrere Tage, besser sogar Monate Zeit, um weiter zu reifen, und damit ich Abstand gewinne. Warum das für mich wichtig ist, verrate ich dir im heutigen Blogbeitrag.
Reifen Geschichten wie Käse?
Vielleicht. Vielleicht auch wie Wein oder andere Produkte, die Zeit benötigen, bis sie ihre volle Qualität entfalten.
Bei mir ist es so, dass auch nach dem Schreiben der initialen Fassung die Geschichten nicht vollkommen aus meinem Kopf verschwinden. Oft sammle ich noch weitere Ideen für die Überarbeitung oder lasse sie im Unterbewusstsein weiterwachsen. Meistens geschieht es nicht bewusst, dass ich über die Texte nachdenke, außer ich weiß bereits, dass etwas noch nicht so ist, wie es sich richtig und stimmig für mich anfühlt. Alles, was mir zu einem Text einfällt, notiere ich. Dann kann ich die Gedanken nutzen, sobald es Zeit für die Überarbeitung ist.
Selbst nach der ersten Überarbeitungsrunde entwickelt sich die Geschichte weiter. Meistens gebe ich sie dann aber bereits an Betaleser und/oder Lektoren weiter. Während der Text von anderen gelesen und kommentiert wird, verschwindet er auch bei mir nicht. Oft kommen mir noch Ideen, wie ich eine Szene besser, runder oder lebendiger gestalten kann. Das notiere ich mir für die weitere Überarbeitung und schaue, ob meine Leser:innen bzw. Lektor:in es ähnlich sehen. Schritt für Schritt kann ich so den Rohdiamanten meiner Geschichte schleifen.
Auch meine Märchensammlung »Die Träume der Wolkenkatze« hat sich so Stück für Stück weiterentwickelt. Ich bin mir bei einigen Geschichten nicht einmal mehr sicher, wie viele Überarbeitungsrunden sie hinter sich haben. Teilweise lagen zwischen zwei Versionen drastische Unterschiede, dann waren es nur kleine Änderungen wie Tippfehler. Jede Einzelne dieser Runden ist wichtig für mich. Denn so kann ich möglichst viele Fehler aus dem Text fischen, bevor ich ihn veröffentliche.
Besonders bei meinem aktuellen Lese-Projekt – meine »Weltenwanderer« – merke ich, dass der Abstand von mehreren Jahren sehr hilfreich ist. Damals fand ich, dass ich noch nicht gut genug sei. Vieles im Text hinken würde oder schlicht qualitativ schlecht geschrieben sei. Ja, es sind einige Punkte vorhanden, die ich verändern und anpassen werde. Auch stilistisch gibt es in dieser Reihe (es sind 9 Bände) einiges, was ich heute verbessern kann und auch werde. Trotzdem bin ich positiv überrascht, was ich damals geschrieben habe. Solche Ideen und derart lebendige Szenen habe ich mir nicht zugetraut.
Abstand für eine neue Perspektive
Das ist einer der Hauptpunkte, weshalb Abstand für mich so wichtig ist: Mir gelingt es erst, wenn ich den Text komplett aus dem bewussten Nachdenken lösen konnte, wieder einen unvoreingenommenen Blick auf einen Roman zu bekommen. Meistens benötige ich hierfür mehrere Monate und manchmal sogar Jahre. Bei sehr alten Texten tun mehrere Jahre gut, damit ich mich weiter entwickeln kann. Nach einer derart langen Zeit sehe ich, wo die Schwachstellen liegen. Ich erkenne, was ich stilistisch, inhaltlich und in vielerlei anderer Hinsicht besser machen kann. Außerdem fällt es mir leichter, einen Text radikal umzuschreiben und in eine neue Richtung zu gehen, wenn mir mein Gefühl sagt, dass das besser für den entsprechenden Roman ist.
Dadurch, dass ich nicht mehr so textblind bin und mich leichter von allem, was ich bereits geschrieben habe, lösen kann, fallen mir radikale Änderungen und Löschung von Szenen sehr leicht. Ich sehe, was der Text benötigt, und ändere es entsprechend. Zeitweise sind meine Überarbeitungen dadurch sehr rot. Aber das ist in Ordnung für mich. Ich möchte qualitativ hochwertige Geschichten veröffentlichen und dazu nehme ich mir gerne Zeit, weil ich merke, wie sich die Worte zu dem verändern, was ich eigentlich ausdrücken möchte.
Ja, eine Überarbeitung kann dann auch so aussehen:
Das ist eine von vielen Überarbeitungen bei meiner Wolkenkatze. Ich liebe es auf Papier zu überarbeiten, weil ich durch den Medienwechsel ein anderes Gefühl für den Text bekomme.
Mittlerweile arbeite ich allerdings immer weniger auf Papier (Druckkosten & Umweltschonung & Zeit sparen – die Übertragung kostet viele Stunden, auch mit diktieren), sondern primär am Rechner. Mein Plan ist, dass ich mir ein Tablet zulege und dort mit einem Stift am Text arbeiten kann.
Alte Diamanten wiederentdecken
Zurzeit liegen zwei sehr alte Projekte auf meinem Schreibtisch, um diese zu schleifen. Es ist zwar viel Arbeit, die da auf mich zukommt – noch lese ich meine »Weltenwanderer« – und ich komme dadurch nur langsam vorwärts, aber beim Lesen der alten Fassung ist mir etwas aufgefallen: Selbst wenn die ursprüngliche Version nicht perfekt ist und Änderungen gut vertragen kann, sind immer wieder schöne Stellen dabei, über die ich mich richtig freue. Es tut gut zu merken, dass auch sehr alte Texte von mir nicht für die Mülltonne sind, sondern mit Zeit und neuem Wissen zu guten Geschichten werden können. So ergeht es mir derzeit auch bei vielen Kurzgeschichten, die ich für meine Patreons aus den Schubladen krame. Einige werden grundlegend überarbeitet, damit sie endlich für mich funktionieren. Darauf freue ich mich ganz besonders.
In dieser Art meine alten Texte wiederzuentdecken macht Spaß und es motiviert mich zudem weiterzuschreiben. Denn ich weiß: Selbst wenn ich jetzt etwas nicht so notieren kann, wie ich es mir wünsche, wird es mir in der Zukunft mit ausreichend Abstand gelingen. Diese Gewissheit hilft mir dabei, weiter meinem Traum zu folgen, eines Tages vom Schreiben leben zu können.
Tatsächlich ist mir bislang bei keinem meiner anderen Hobbys Ähnliches aufgefallen. Natürlich werde ich beim Nähen, Malen oder Fotografieren mit der Übung besser und es hilft, wenn ich mich viel damit beschäftige. Aber diese Ruhepausen und das Schleifen beziehungsweise Reifen erlebe ich so nur beim Schreiben. Ein Foto, ein Bild oder etwas Genähtes kann ich im Normalfall nur neu machen. Selten habe ich die Möglichkeit, etwas bereits »erstelltes« in anderen Hobbys so aufzuwerten, dass am Ende ein schöneres, geschliffenes Produkt entsteht. Bilder male ich oft lieber neu, weil sich auch mein Stil verändert. Fotos kann ich vielleicht erneut nachbearbeiten, aber wenn bereits das Rohbild unscharf ist, ist es nicht zu retten. Und wenn ich Stoff blöd geschnitten habe, kann ich zwar Nähte auftrennen, aber den Stoff nur für kleinere Produkte wiederverwenden.
Ehrlich gesagt finde ich es faszinierend, wie ein Roman – oder ein Text allgemein – über die Zeit wächst und sich weiterentwickelt. Für mich ist auch dieser Aspekt ein Grund, weshalb ich das Schreiben so liebe. Ich genieße es, zu erleben, wie eine Geschichte besser wird, wie ich mich während der Zeit entwickle – und das natürlich auch in den Worten zu merken ist – und ich viele Möglichkeiten habe, das Geschriebene zu verbessern.
Ich wünsche dir, dass du auf dem Weg zu deinen Träumen Ähnliches erleben kannst und vor allem die Faszination und Motivation dich immer begleiten. Vielleicht kannst du ja auch wie ich die unzähligen Möglichkeiten genießen – auch beim Malen, Fotografieren oder Nähen ist bei mir nichts verloren, selbst wenn ich dort anders vorgehe, um etwas zu »überarbeiten«.
Alles Liebe
Laura Kier
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